Wie baue ich mir einen Mann aus Papier?

Nach 20 Jahren Arbeit habe ich als Geschenk von meinem Arbeitgeber 2 zusätzliche Wochen Ferien erhalten. Diese wollte ich dazu nutzen, irgendetwas Kreatives neu zu lernen. Seit einiger Zeit beschäftigte ich mich mit Papiermaché und wollte schon länger gerne mehr darüber wissen und ein paar Tipps von einem Profi erhalten.

Der Kurs „Lebensgrosse Papiermaché-Figuren herstellen“ war genau das, was ich gesucht hatte.

Wie man sich einen Kleistermann bastelt

So machte ich mich im Januar auf den Weg nach Herisau, um dort zusammen mit sieben anderen, mir völlig unbekannten Menschen, eine Woche lang zu kleistern.

Zuerst musste ich mich entscheiden, was für eine Figur ich kreieren wollte. Im Kursbeschrieb stand, die Figur könne bis 2m gross sein und sei nachher wetterfest. Es war mir sofort klar, dass meine Figur im Garten wohnen würde. Ich hatte ein Bild aus meiner Kindheit vor mir. Mein sehr alter Urgrossvater, wie später auch mein Grossvater, sassen oft im Garten auf einem Bänkli, stundenlang, ruhig und zufrieden.

Genau das wollte ich. Einen alten, gemütlichen Mann in meinem Garten, dem gleichen Garten übrigens, in welchem auch mein Urgrossvater und mein Grossvater schon sassen. In einem alten Fotoalbum habe ich ein Bild von meinem Urgrossvater gefunden, welches ihn auf dem Bänkli zeigt. Ich sitze als kleines Mädchen daneben.

Dieses Bild und einen alten Stuhl hatte ich als Vorlage im Kurs dabei.

Mein Urgrossvater und ich

Mein Urgrossvater und ich

Das Foto und den Stuhl hatte ich als Vorlage dabei

Das Foto und den Stuhl hatte ich als Vorlage dabei

Und so wird aus einem Berg Zeitungen, Dispersionsbinder, ein paar Holzlatten, Kaninchengitter, etwas Draht, Malerklebeband und Acrylfarbe eine Figur, die für die nächsten Jahre wetterfest sein sollte:

Zuerst zeichnet man den Umriss der Figur 1:1 auf einem riesigen Papier vor. Am besten stellt oder setzt sich jemand wie in der gewünschten Haltung hin und man fährt den Umriss nach. Stehende Figuren werden frontal gezeichnet, sitzende Figuren von der Seite.

Die Figur 1 zu 1 aufgezeichnet

Die Figur 1 zu 1 aufgezeichnet

Als nächstes werden die Holzlatten auf das Papier gezeichnet, die als Gerüst / Skelett für die Figur dienen, also Rückgrat, Arme, Beine, Becken, Schultern.

Diese werden dann passend zugesägt und verschraubt.

Die Holzlatten sind quasi das Skelett des Kleistermann

Die Holzlatten sind quasi das Skelett des Kleistermann

Die Holzlatten sind quasi das Skelett des Kleistermann

Die Holzlatten sind quasi das Skelett des Kleistermann

Stehende Figuren werden mit den Füssen auf einem Brett montiert.

Stehende Figuren werden mit den Füssen auf ein Brett montiert

Stehende Figuren werden mit den Füssen auf ein Brett montiert

Dann wird mit Drahtgeflecht ein grober Körper um das Holzskelett geformt und mit Draht fixiert. Dies ist eine etwas mühsame, sehr stachelige Arbeit. Mit Handschuhen hat man zu wenig Gefühl, ohne kriegt man überall an den Händen kleine Kratzer, die man dann die nächsten Tage noch spürt. Viel jammern und fluchen hilft 😉

Der Drahtkörper wird als nächstes zu etwa 50% mit Malerklebeband umwickelt. Das hat den Vorteil, dass das Zeitungspapier, das nachher draufgekleistert wird, besser hält und die Luftlöcher sorgen dafür, dass die Figur auch nach innen Luft hat und trocknen kann.

Der Körper wird mit Malerklebeband vorbereitet

Der Körper wird mit Malerklebeband vorbereitet

Auf dem Malerklebeband hält der Kleister besser

Auf dem Malerklebeband hält der Kleister besser

Jetzt kann man endlich mit dem eigentlichen Kleistern beginnen. Figuren für den Innenbereich werden mit einer Kleister-Dispersionsbinder-Mischung geklebt. Für meine Figur, die für den Aussenbereich vorgesehen ist, benutze ich statt Kleister reinen Dispersionsbinder.

Berge von Zeitungen werden in etwa A5-grosse Stücke gerissen. Diese benetzt man vorne und hinten mit Binder und klebt sie dann auf die Figur. Dazu sollte man Handschuhe tragen, da dieser Binder fast nicht mehr von der Haut zu entfernen ist. Auch Kleider, sowie Boden und Tisch sollten gut abgedeckt werden.

Mit flachgestrichenen Zeitungsfetzen wird die Figur einmal ganz überklebt.

Jetzt geht es los mit Kleistern

Jetzt geht es los mit Kleistern

Für den Aussenbereich wird Dispersionsbinder statt Kleister verwendet

Für den Aussenbereich wird Dispersionsbinder statt Kleister verwendet

Die A5 grossen Stücke werden mit Binder benetzt und aufgeklebt

Die A5 grossen Stücke werden mit Binder benetzt und aufgeklebt

Nach diesem Vorgang sollte das Papier mindestens eine Nacht lang trocknen.

Als Nächstes wird der Körper der Figur modelliert. Dazu taucht man wieder Papierfetzen in Binder und formt diese zu kleinen Knäueln, die man anklebt. So bekommt die Figur mehr und mehr ihre Form. Die Papierfetzen müssen immer wieder antrocknen. Da man an sehr vielen Orten Muskeln und Speckrölleli anbauen muss und man immer wieder an anderen Körperteilen arbeiten kann, ist das kein Problem.

Der Kleistermann wird in Form gebracht

Der Kleistermann wird in Form gebracht

Muskeln und Speckrölleli werden modelliert

Muskeln und Speckrölleli werden modelliert

Falls die Figur ihre Arme und Hände vor dem Körper hat, bearbeitet man Arme und Hände noch nicht, sondern lässt immer noch die mit Klebband überzogenen Drahtarme aus dem Körper abstehen. So kann man ungehindert den Oberkörper modellieren.

Die Papierknäuel werden dann wieder mit einer eher flachen Papierschicht überzogen. So hat man dann eine geformte, noch nackte Figur.

Jetzt geht es daran, Kleider, Frisuren, Accessoires herzustellen. Auch diese werden natürlich aus Zeitungpapier modelliert. Für gewisse Kleider werden ganze Zeitungsbögen aufeinander geklebt (ca. 4 Schichten) andere Kleider werden ganz einfach modelliert und mit Papierschnipseln überzogen.

Eine ganze Familie aus Kleistermänner und Frauen

Eine ganze Familie aus Kleistermänner und Frauen

Handschuhe tragen ist Pflicht, den Binder bekommt man fast nicht mehr von der Haut

Handschuhe tragen ist Pflicht, den Binder bekommt man fast nicht mehr von der Haut

Um besser an den Oberkörper zu kommen werden die Arme später bearbeitet

Um besser an den Oberkörper zu kommen werden die Arme später bearbeitet

Schon gemütlich sitzt mein Urgrossvater da

Schon gemütlich sitzt mein Urgrossvater da

Falls noch nicht erledigt, werden jetzt die Arme und Hände richtig positioniert und wie der Rest des Körpers aufgebaut.

Jetzt ist die Figur fertig gekleistert.

Jetzt muss der Kleistermann mindestens eine Woche lang trocknen

Jetzt muss der Kleistermann mindestens eine Woche lang trocknen

Jetzt ist die Figur fertig gekleistert

Jetzt ist die Figur fertig gekleistert

Model sitzen ;-)

Model sitzen 😉

So weit haben wir es im Kurs alle innerhalb von 5 intensiven Arbeitstagen geschafft. Nun muss unser neuer Freund erst einmal gut, mindestens eine Woche lang, trocknen.

Dann kann der Papiermann angemalt werden. Dazu benutze ich Acrylfarbe, die ich ziemlich grob auftrage.

Die Acrylfarbe wird grob aufgetragen

Die Acrylfarbe wird grob aufgetragen

Die Acrylfarbe wird grob aufgetragen

Die Acrylfarbe wird grob aufgetragen

Zum Abschluss wird die Figur noch einmal mit purem Dispersionsbinder überstrichen. So sollte sie für ein paar Jahre wetterfest sein.

Zum Abschluss wird nochmals Dispersionsbinder aufgetragen

Zum Abschluss wird nochmals Dispersionsbinder aufgetragen

Falls der Papiermann verwettert oder beschädigt wird, kann man ihn einfach mit einer neuen Zeitungsschnitzelschicht überziehen und noch einmal neu anmalen.

Das ganze Zeitungsmannprojekt ist insgesamt eine super Sache.Vaclav Elias ist nicht nur ein begnadeter Künstler, sondern auch ein sehr sympathischer Kursleiter. www.vaclavelias.ch

Der Anfang ist eher mühsam und schmerzhaft. Das Kleistern nachher macht sehr viel Spass und man kann seine Kreativität richtig ausleben. Bis alle Details so stimmen, wie man es gerne hätte, braucht es viel mehr Zeit und Ausdauer, als ich mir vorgestellt habe. Insgesamt habe ich am ganzen Projekt etwa 8 Arbeitstage je 8 Stunden lang gearbeitet.

Eine sitzende Figur ist einiges aufwändiger und komplizierter als eine stehende. Sie kann auch immer nur auf einer Seite bearbeitet werden und muss dann wieder trocknen, damit man die andere Seite bearbeiten kann. Man muss oft ziemlich verrenkt arbeiten.

Wenn ich wieder so eine Kleisterfigur machen würde, würde ich wohl zuerst einmal eine stehende ausprobieren.

Eine Woche lang mit anderen Menschen intensiv einfach mal etwas anderes als gewohnt machen, etwas kreativ gestalten, war für mich extrem bereichernd. Wir waren eine sehr lustige Truppe zusammengesetzt aus den verschiedensten Menschen.

Natürlich kann man so eine Figur auch alleine herstellen. Schwierig ist die ganze Sache nicht. Man muss sich einfach bewusst sein, dass man viel Zeit braucht.

Was mich am allermeisten freut, ist das Resultat. Da sitzt nun ein gemütlicher, zufriedener, alter Mann in meinem Garten unter dem Apfelbaum und strahlt wirklich Ruhe und Gelassenheit aus.

Dass mein Kleistermann genau am 100. Geburtstag meines schon lange verstorbenen Grossvaters fertig wurde, obwohl ich das gar nicht gewusst hatte, passt perfekt. Ich bin ehrlich gesagt, ziemlich stolz auf mein Werk.

Wetterfest für die nächsten Jahr sitzt er auf seiner Gartenbank

Wetterfest für die nächsten Jahr sitzt er auf seiner Gartenbank

Da sitzt er wieder, wie früher unter dem Baum auf der Bank

Da sitzt er wieder, wie früher unter dem Baum auf der Bank <3

 

Dieses Projekt und die schöne Geschichte dazu wurde uns von @Harassli erzählt. Vielen Dank dafür!